Elternarbeit in der Lerntherapie ist kein Zusatzangebot, sondern ein zentraler Bestandteil wirksamer Förderung. Gerade in der schulischen Förderung zeigt sich, wie entscheidend die Zusammenarbeit zwischen Eltern, Schule und Lerntherapie für nachhaltige Lernprozesse ist.
Manchmal reicht eine einzelne Aufgabe, um zu zeigen, wo Lernprozesse ins Wanken geraten und warum genau diese Zusammenarbeit so wichtig ist.
Viele Eltern fragen sich: „Wie kann ich mein Kind beim Lernen wirklich unterstützen?“ und fühlen sich gleichzeitig unsicher. Was hilft wirklich? Was stört eher? Und welche Rolle spielen wir als Eltern überhaupt in der Lerntherapie?
Diese Fragen begegnen mir regelmäßig und sie sind absolut berechtigt.
Lerntherapie braucht mehrere tragende Säulen
Neulich sagte ein Schüler zu mir:
„Lerntherapie ist wie ein Stuhl mit vier Beinen.“
Ich musste schmunzeln und dann kurz darüber nachdenken. Denn er hatte völlig recht und dieses Bild begleitet mich seitdem in meiner Förderung jede Woche.
Lerntherapie steht auf vier stabilen Beinen: dem Kind, den Eltern, der Schule und uns Lerntherapeuten. Jedes dieser Beine trägt etwas Wesentliches zum Erfolg bei. Und wenn eines wackelt, dann wird es unruhig, manchmal kippt der Stuhl sogar.
In meiner Arbeit merke ich immer wieder, wie wichtig die Rolle der Eltern ist. Denn Eltern begleiten ihr Kind jeden Tag, sie erleben die Fortschritte, die Rückschläge, die Tränen, die kleinen Siege. Sie sind das verbindende Glied zwischen Schule, Elternhaus und Lerntherapie. Und genau deshalb braucht Lerntherapie Eltern, die verstehen, was wir tun und warum.
Wenn plötzlich Rückschritte sichtbar werden
In der Förderung eines Schülers lief die letzten Wochen alles ziemlich gut. Der Schüler machte Fortschritte, ich war mit der Lehrkraft regelmäßig im Austausch, die Förderung schien zu greifen.
Umso irritierter war die Lehrkraft, als plötzlich wieder Unsicherheiten und Rückschritte beim Schüler sichtbar wurden, ohne dass sich im Unterricht etwas Grundlegendes verändert hatte.
Im schulischen Alltag bleibt oft wenig Zeit, genau hinzuschauen, wie ein Kind eigentlich denkt oder rechnet. Nicht aus mangelndem Engagement, sondern aufgrund von Zeitdruck, Gruppengröße und Rahmenbedingungen. Genau hier zeigt sich der besondere Wert von Lerntherapie in der Schule: Sie schafft Raum zum Beobachten, Nachfragen und Verstehen und wirkt besonders in der Kooperation miteinander.
Zeit zum Hinschauen: der Blick ins Einzelsetting
In der Einzelförderung nahm ich mir bewusst Zeit und fragte den Schüler:
„Wie rechnest du eigentlich? Was machst du Schritt für Schritt?“
Und da wurde es klar.
Der Schüler erklärte mir stolz:
„Man rechnet einfach Einer mit Einer und Zehner mit Zehner. Das hat Papa mir gezeigt.“ Und das war von den Eltern wirklich gut gemeint und sehr engagiert, denn man wollte seinem Kind doch unbedingt helfen.
Und trotzdem führte genau dieser gut gemeinte Ansatz zu Verwirrung.
Bei einer Aufgabe wie 73 + 2 schrieb der Schüler 95 auf. Warum?
Er addierte zuerst die „Zehner“:
7 + 2 = 9
und danach die Einer:
3 + 2 = 5
Ohne zu merken, dass die „2“ gar kein Zehner ist.
Die Rechenschritte waren für ihn logisch. Das Ergebnis zeigte jedoch deutlich: Das Zahlenverständnis war ins Wanken geraten.
Gut gemeinte Hilfe – und ihre Grenzen
Das ist kein Eltern-Fehler. Eltern wollen helfen und genau das ist ihre große Stärke. Viele Rechenwege oder „Tricks“, die Eltern noch aus ihrer eigenen Schulzeit kennen, führen heute jedoch nicht automatisch zu einem tragfähigem Verständnis. Vor allem dann nicht, wenn Kinder grundlegende Basiskompetenzen
erst noch aufbauen müssen.
Auch der Lehrkraft wurde in diesem Moment klar:
Die Rückschritte hatten ihren Ursprung nicht im Unterricht, sondern in einer gut gemeinten, aber nicht abgestimmten Unterstützung zu Hause.
Warum Elternarbeit in der Lerntherapie kein „Extra“ ist
Elternarbeit ist für mich kein „Extra“, das man irgendwie unterbringt. Sie ist ein zentraler Bestandteil jeder Lerntherapie. Denn Kinder lernen nur dann nachhaltig, wenn alle Erwachsenen um sie herum das Gleiche wollen und wissen, wie sie das Kind unterstützen können.
Ich weiß, wie viel Mut es Eltern kostet, sich Hilfe zu holen oder einzugestehen:
„Ich weiß gerade nicht weiter.“ Doch genau hier beginnt Zusammenarbeit.
In Elterngesprächen klären wir gemeinsam,
- was Lerntherapie leisten kann und was nicht
- wie Lernen zu Hause aussehen kann, ohne Druck und Überforderung
- wie Schule, Elternhaus und Lerntherapie sinnvoll zusammenarbeiten können
Forschung bestätigt: Elternarbeit wirkt
Auch die Forschung unterstreicht die Bedeutung von Elternarbeit in der Lerntherapie.
Eine systematische Übersichtsarbeit von Guerra et al. (2024) zeigt, dass Elternprogramme, Coachings und Gruppenangebote viele positive Effekte haben, u.a. können sie
- elterlichen Stress reduzieren
- fachliches Verständnis fördern
- und zu besseren schulischen und sozialen Ergebnissen bei Kindern mit Lernschwierigkeiten führen
Mit anderen Worten: Eltern, die sich sicher fühlen, können ihre Kinder besser begleiten. Und das wirkt sich spürbar aus, sowohl in der Lerntherapie, in der Schule und zu Hause.
Fünf Impulse für Eltern: So kann Lerntherapie wirken
Folgende 5 Tipps können dir als Eltern helfen, im Gespräch mit Lehrkräften und Lerntherapeuten zu bleiben und gemeinsam die Förderung deines Kindes zu gestalten.
- Bleib im Gespräch mit dem Lerntherapeuten
Frag ruhig nach, wenn du etwas nicht verstehst. Lerntherapie wirkt am besten, wenn Eltern wissen, warum wir etwas so machen, wie wir es tun - Sprich mit der Schule
Ein kurzer Austausch mit der Lehrkraft kann Missverständnisse vermeiden. Eine Förderung / Lerntherapie ist am wirksamsten, wenn Schule und Eltern am gleichen Strang ziehen. Nur dann können wir gemeinsam Lösungen finden - Vertraue dem Prozess
Fortschritte kommen oft leise und in kleinen Schritten. „Tricks“ und schnelle Lösungen sind verlockend, aber echtes Lernen braucht Zeit. - Sag offen, wenn dich etwas verunsichert
Ob Schulrückmeldung, Hausaufgabenstress oder Zweifel: Sag es lieber einmal zu viel als zu wenig. - Hab Geduld und freue dich über kleine Fortschritte
Kinder spüren, ob wir an sie glauben. Freude, Interesse und echtes Zuhören sind oft wirkungsvoller als jede Übungseinheit.
Lerntherapie gleicht einem Stuhl mit vier Beinen.
Fehlt eines, wird es wackelig. Elternarbeit in der Lerntherapie sorgt dafür, dass dieser Stuhl Halt gibt: Für Kinder, Eltern und Schule.
Quellen:
Guerra, G. C., Positano, M. T., Sperati, A. et al. (2024). „Support for Parents of Children with Learning Disorders: A Systematic Review of Intervention Strategies.“ PMC 12163006.)
Matheinterview einer Schülerin der 2. Klasse im Dezember 2025