Lesen zu können bedeutet weit mehr, als nur Buchstaben aneinanderzureihen. Lesen eröffnet Kindern den Zugang zu Wissen, Geschichten und neuen Welten – und stärkt zugleich ihr Selbstvertrauen. Damit Kinder diese Welt wirklich für sich entdecken, braucht es jedoch mehr als regelmäßiges Üben: Es braucht Motivation.
Eine ausgeprägte Lesemotivation ist einer der wichtigsten Faktoren für die Entwicklung der Lesekompetenz. Kinder, die gerne lesen, lesen häufiger, intensiver und mit mehr Freude. Sie erleben beim Lesen Erfolgsmomente, die wiederum ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken. Doch viele Kinder verlieren im Laufe der Grundschulzeit die Freude am Lesen – oft, weil sie zu wenig Erfolgserlebnisse haben, Texte nicht ihren Interessen entsprechen oder der Leistungsdruck zu groß wird.
Eltern und Lehrkräfte können hier gezielt ansetzen: Sie schaffen Bedingungen, die Lust aufs Lesen machen und positive Erfahrungen ermöglichen. In meinem Blogartikel erfährst du:
- wie du die Lesemotivation fördern kannst
- was Lesemotivation eigentlich bedeutet
- warum sie in der Grundschule so entscheidend ist
- wie die Motivation das Leseverhalten beeinflusst und
- was das Erwartungs-Wert-Modell damit zu tun hat
Was ist Lesemotivation?
Lesemotivation beschreibt das Interesse und die Bereitschaft, sich aktiv mit Texten und geschriebenen Wörtern auseinanderzusetzen. Sie zeigt sich darin, dass Kinder Freude am Lesen haben und einen Sinn oder Nutzen darin sehen.
Grundsätzlich kann man zwei Formen unterscheiden:
- Intrinsische Motivation: Kinder lesen aus Interesse oder Freude am Thema. Das Lesen selbst macht Spaß. Zum Beispiel, wenn ein Kind ein spannendes Detektivbuch liest, weil es die Geschichte fesselt.
- Extrinsische Motivation: Kinder lesen, um ein Ziel zu erreichen – etwa eine gute Note, ein Lob oder eine Belohnung.
Lesemotivation kann dauerhaft (habituell) sein – also ein anhaltendes Interesse am Lesen –, oder situativ (aktuell), wenn ein Kind in einer bestimmten Situation motiviert ist, z. B. weil das Thema gerade spannend ist oder es eine Aufgabe lösen möchte.
Warum ist Lesemotivation in der Grundschule so entscheidend?
Lesemotivation ist ein entscheidender Faktor für die Lesekompetenz von Kindern, da sie beeinflusst, wie oft, wie lange und mit welcher Ausdauer ein Kind liest. Kinder, die gerne lesen, greifen häufiger zu Büchern, Comics oder digitalen Texten und erweitern dadurch fast automatisch ihren Wortschatz, ihr Textverständnis und ihr Wissen.
Diese Motivation entwickelt sich individuell und wird durch verschiedene Faktoren geprägt. Ein häufiges Problem sind fehlende Lesefertigkeiten, insbesondere auf der Wort- oder Satzebene. Kinder mit solchen Schwierigkeiten empfinden das Lesen oft als anstrengend und frustrierend.
Man kann sich das so vorstellen: In der Schule stehen sie täglich vor Texten, die für sie eigentlich noch zu anspruchsvoll sind – die sie aber lesen sollen, weil es ihrem Klassenlevel entspricht. Das führt schnell zu Überforderung und dem Gefühl, „ich kann das nicht“, obwohl das eigentliche Problem nicht mangelndes Interesse, sondern zu hohe Anforderungen sind.
Auch die Themenwahl spielt eine große Rolle: Wenn Lesematerial nicht den Interessen des Kindes entspricht, sinkt die Motivation deutlich.
Studien zeigen, dass motivierte Kinder bessere Leseleistungen erzielen, weil sie sich häufiger freiwillig mit Texten beschäftigen (Goy, Valtin & Hußmann, 2017). Lesemotivation sorgt also dafür, dass Kinder dranbleiben – selbst, wenn es schwierig wird.
Daher ist es wichtig, die Leseförderung individuell anzupassen. Lehrkräfte können durch Gespräche und kleine diagnostische Beobachtungen herausfinden, was Kinder motiviert und wo ihre Interessen liegen. So lässt sich gezielt passendes Lesematerial bereitstellen, das Freude bereitet und langfristig die Lesekompetenz stärkt.
Lesemotivation ist nicht nur für das häufige Lesen entscheidend, sondern auch für den langfristigen Lernerfolg. Kinder, die motiviert sind, erleben häufiger Erfolgsmomente und diese stärken ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das führt zu einem positiven Kreislauf:
Motivation schafft Erfolg, und Erfolg verstärkt Motivation.
Wie beeinflusst Motivation das Leseverhalten?
Motivation entscheidet darüber, wie oft und wie ausdauernd Kinder lesen besonders dann, wenn Texte anspruchsvoller werden. Studien zeigen, dass eine hohe intrinsische Lesemotivation, also die Freude am Lesen selbst, häufiger zu besseren Leseleistungen führt, während extrinsische Anreize wie Belohnungen oder Noten meist nur kurzfristig wirken.
Kinder, die von sich selbst sagen „Ich lese gerne“ oder „Ich kann gut lesen“, greifen freiwillig zu Büchern, zeigen mehr Ausdauer und erleben beim Lesen häufiger Erfolgsmomente. Diese positiven Erfahrungen stärken ihr Selbstvertrauen und fördern wiederum die Motivation – ein Kreislauf, der Lesefreude und Lesekompetenz langfristig wachsen lässt.
Kinder lesen häufiger und lieber, wenn sie Freude am Lesen haben – nicht, wenn sie es nur tun müssen.
Das Erwartungs-Wert-Modell – welche Rolle es spielt
Warum lesen manche Kinder mit Begeisterung, während andere schon beim Wort „Lesen“ die Augen verdrehen?
Das Erwartungs-Wert-Modell (Eccles et al., 1983; Möller & Schiefele, 2004) hilft, diese Unterschiede zu verstehen. Es besagt, dass Kinder vor allem dann motiviert sind zu lesen, wenn zwei Dinge zusammenkommen:
- Sie trauen sich das Lesen zu.
→ Das nennt man Erwartung. Kinder glauben: „Ich kann das schaffen!“ oder „Ich bin gut im Lesen.“ - Sie halten das Lesen für sinnvoll oder spannend.
→ Das ist der Wert. Sie denken: „Das Thema interessiert mich“ oder „Lesen bringt mir etwas.“
Wenn beides gegeben ist – also Selbstvertrauen und Bedeutung –, steigt die Lesemotivation deutlich. Kinder erleben Lesen dann nicht mehr als Pflicht, sondern als persönliche Bereicherung.
Lehrkräfte und Eltern können dieses Modell praktisch nutzen:
- Durch positive Rückmeldungen: „Du hast dich beim Lesen richtig angestrengt, das hat sich gelohnt!“ wächst das Vertrauen in die eigene Fähigkeit.
- Wenn sie zeigen, wo Lesen im Alltag hilft oder Freude bereitet z.B. beim Entdecken neuer Themen, beim Verstehen von Anleitungen oder in spannenden Geschichten, dann wird der Wert des Lesens greifbar.
So wird aus einer bloßen Aufgabe eine sinnvolle Tätigkeit, die Kinder aus eigenem Antrieb weitermachen möchten.
Kinder lesen mit Motivation, wenn sie sich das Lesen zutrauen – und wenn sie darin etwas sehen, das ihnen wichtig ist.
Praktische Tipps zur Förderung der Lesemotivation
Das Erwartungs-Wert-Modell zeigt: Kinder lesen dann mit Motivation, wenn sie sich das Lesen zutrauen und darin etwas Sinnvolles erkennen.
Damit das gelingt, braucht es im Alltag viele kleine Erlebnisse, die zeigen: Lesen kann spannend, lebendig und persönlich sein.
In jeder Klasse – und auch zu Hause – gibt es Kinder mit ganz unterschiedlicher Motivation. Manche tauchen freiwillig in Geschichten ein, andere müssen erst erfahren, dass Lesen Freude machen kann.
Lehrkräfte, Eltern und Lerntherapeuten können diese Entdeckerfreude gezielt unterstützen – mit Ideen, die das Lesen greifbar, alltagsnah und individuell machen.
Hier sind einige Impulse zur Förderung der Lesemotivation in der Grundschule
Lesen im Alltag entdecken – mit allen Sinnen
Leseförderung beginnt nicht erst in der Schule. Kinder, die früh merken, dass Sprache und Schrift im Alltag eine Rolle spielen, entwickeln oft ganz selbstverständlich Interesse am Lesen.
Ein Lesespaziergang ist dafür ideal:
Beim Gang durch die Umgebung entdecken Kinder Buchstaben, Wörter und Zeichen auf Schildern, Plakaten oder Verpackungen. Sie raten, was die Wörter bedeuten, suchen ihren Lieblingsbuchstaben oder fotografieren Schriftzüge, die sie spannend finden.
Später können die Wörter gemeinsam sortiert, gemalt oder in kleine Geschichten eingebaut werden. So wird Lesen zu einer entdeckenden und bewegten Erfahrung – besonders für Kinder, die Lernen lieber aktiv erleben.
Wie ein Lesespaziergang die Lust am Lesen weckt, habe ich in meinem Blogartikel beschreiben.
Themen aufgreifen, die Kinder wirklich interessieren
Kinder lesen lieber, wenn sie sich mit dem Thema identifizieren können. Wer Pferde liebt, liest über Reitgeschichten; wer sich für Technik begeistert, vertieft sich in Comics oder Sachbücher über Erfindungen.
Lehrkräfte und Eltern können helfen, passende Texte zu finden – oder Kinder selbst suchen lassen. Die Wahlfreiheit ist oft der erste Schritt zu echter Motivation.
Digitale Tools nutzen
Lesemotivation entsteht auch in digitalen Räumen. Apps wie z.B. Maple Tales oder der AlphaBen machen Lesen interaktiv und individuell.
Kinder können
- die Schriftgröße anpassen,
- Figuren personalisieren,
- mitbestimmen, wie eine Geschichte weitergeht,
- und sofort sehen, was sie schon geschafft haben.
Solche Angebote verbinden Leseförderung mit Selbstwirksamkeit: Kinder erleben, dass ihre Entscheidungen im Verlauf einer Geschichte etwas bewirken und dass Lesen Spaß machen darf.
Erfolge sichtbar machen
Erfolgserlebnisse sind Motor und Belohnung zugleich. Kleine Rituale wie ein „Leseglas“, in das Kinder für jede beendete Geschichte einen Zettel legen, oder gemeinsame Reflexionsmomente („Was hast du heute neu entdeckt?“) machen Fortschritte sichtbar und wertvoll.
Lesemotivation messen und verstehen
Wie kann man erkennen, was Schüler beim Lesen motiviert? Hier sind einige Möglichkeiten:
- Fragebögen: Gezielte Fragebögen zu Lesegewohnheiten und Interessen liefern wichtige Einblicke. Diese sollten regelmäßig eingesetzt werden, um Veränderungen in der Motivation zu verfolgen. Hier kannst du meine Fragebogen bei myablefy kaufen.
- Gespräche: Lehrkräfte, Lerntherapeuten und Eltern können durch persönliche Gespräche herausfinden, welche Themen das Kind fesseln. Diese Reflexionen fördern das Verständnis für individuelle Vorlieben und Herausforderungen.
- Beobachtungen: Das freiwillige Lesen und die Begeisterung für bestimmte Geschichten sind klare Hinweise auf Motivation. Eine regelmäßige Beobachtung hilft, das Interesse zu erkennen und anzupassen.
Durch eine Kombination dieser Methoden können Lehrkräfte und Eltern gezielt auf die Lesemotivation der Kinder eingehen und entsprechende Fördermaßnahmen ergreifen.
Lesemotivation in der Grundschule – der Faktor für den weiteren Lernerfolg
Lesemotivation ist weit mehr als nur „Lust aufs Lesen“ – sie ist die Grundlage für dauerhaftes Lernen und Verstehen. Kinder, die Freude am Lesen entwickeln, lesen häufiger, vielfältiger und sicherer.
Studien wie IGLU 2021 zeigen, dass die Lesemotivation vieler Grundschulkinder abnimmt – besonders bei denen, die ohnehin Schwierigkeiten beim Lesen haben. Umso wichtiger ist es, dass Schule, Familie und Lerntherapie gemeinsam Wege finden, Lesen wieder als etwas Erfreuliches und Sinnvolles zu erleben.
Ob beim Lesespaziergang, in einer App oder im Lieblingsbuch: Jede positive Leseerfahrung stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Selbstwirksamkeit ist der Schlüssel – sie zeigt Kindern, dass sich Anstrengung lohnt und Fortschritt möglich ist.
Wer Kinder fürs Lesen begeistert, stärkt nicht nur ihre Lesekompetenz, sondern auch ihr Vertrauen in sich selbst.
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Quellen:
- Goy, M., Valtin, R. & Hußmann, A. (2017). Leseselbstkonzept, Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz. In A. Hußmann, H. Wendt, C. Schwippert, D. Kaspar & W. Bos (Hrsg.), IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich (S. 211–240). Münster: Waxmann.
- Hettinger, K., Lazarides, R. & Retelsdorf, J. (2022). Interindividuell unterschiedliche Veränderungen der Lesemotivation – welche Bedeutung hat die Unterstützung der Lehrkraft? Interindividuell unterschiedliche Veränderungen der Lesemotivation – welche Bedeutung hat die Unterstützung der Lehrkraft? | Zeitschrift für Erziehungswissenschaft
- Möller, J. & Schiefele, U. (2004). Motivationale Grundlagen der Lesekompetenz. In U. Schiefele, C. Artelt, W. Schneider & P. Stanat (Hrsg.), Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000 (S. 101–124). Wiesbaden: VS Verlag.
