Schulwechsel oder Schulwahl mit Dyskalkulie ? Das fühlt sich oft an, als würde man mit einem Rucksack voller Angst, Ablehnung und Unsicherheit loslaufen.
Aber manchmal findet man unterwegs eine Schule, die mitträgt und schon fühlt sich der Rucksack ein wenig leichter an.

Wenn dein Kind eine Rechenschwäche hat, ist die Schulwahl nach der Grundschule oft keine einfache Entscheidung – sondern ein Kraftakt.
Die Wahl der weiterführenden Schule ist für viele Familien eine emotionale Herausforderung – besonders, wenn eine Rechenschwäche (Dyskalkulie) mit im Gepäck ist. Hier bekommst du einen Einblick in Erfahrungen von vielen Eltern, möchtest du gleich zu den konkreten Tipps, dann klicke hier.

Erfahrungen von Eltern, die betroffen machen

Was ich in den letzten Jahren in Gesprächen mit Eltern gehört habe, macht betroffen – und manchmal auch wütend.
Da war das Kind mit einem Notendurchschnitt von 1,9 am Ende der Grundschulzeit. In Mathe stand es mit Nachteilsausgleich auf einer 3. Trotzdem bekamen die Eltern im Gespräch mit der Schulleitung einer Realschule klare Worte zu hören:

„Aufgrund der Rechenschwäche ist die Realschule leider nicht die Passende für Ihr Kind“.

In Mathe wird es sowieso auf eine 5 hinauslaufen und ab Klasse 7 dann auch in Physik.

Mit Dyskalkulie ist Ihr Kind auf der Realschule völlig falsch – vielleicht versuchen Sie es besser an einer Hauptschule.“ Wir können hier nichts machen. Schulleitung einer Realschule

Oder eine andere Familie, die sich fünf Schulen angeschaut hat. Jede Schule reagierte völlig unterschiedlich:

  • Schule 1 lehnte direkt per E-Mail ab: „Für Kinder mit Dyskalkulie bieten wir nichts an.“ Das können wir gar nicht leisten.
  • Schule 2 ließ sich auf kein Gespräch ein.
  • Schule 3 hörte sich alles an – signalisierte aber: „Ein Kind mit solchen Schwierigkeiten kommt hier nicht zurecht. Dafür sind wir nicht zuständig.
  • Schule 4 war offen – ein Lichtblick.
  • Schule 5 war bereit, wirklich hinzuschauen. Nicht die Rechenschwäche stand im Mittelpunkt – sondern das Kind als Mensch.

Wieder eine andere Familie macht nach dem Wechsel aufs Gymnasium ganz besondere Erfahrungen. In Klasse 5 und 6 kam der Schüler gut zurecht. In Klasse 7 – Lehrerwechsel – stand der Schüler vor einer Sackgasse:

„Leider können wir an dieser Schule nichts mehr für Ihr Kind tun, da in Mathe eine 6 droht. Eine Härtefallentscheidung erlaubt einmalig, von einer Nicht-Versetzung abzusehen. Beim nächsten Mal gibt es keine Hilfe mehr.“

Es wurde kein Nachteilsausgleich gewährt, keine innerschulische Unterstützung. Es waren nur sehr klare Worte: Ihr Kind ist auf dem Gymnasium falsch. Der Schüler stand in allen anderen Hauptfächern auf einer 2. Wie es weiterging habe ich hier beschrieben: Am Gymnasium aussortiert: Wie die Dyskalkulie Therapie erfolgreich zum Schulabschluss führte.

Diese Gespräche sind keine Ausnahmen. Sie sind Alltag.

Dein Kind ist mehr als eine Matheleistung

Dyskalkulie betrifft nicht nur das Rechnen. Sie trifft oft auch das Selbstwertgefühl, das Vertrauen in die eigene Leistung – und die Beziehung zur Schule insgesamt.
Wenn dann auch noch das Signal kommt: „Du gehörst hier nicht hin“, hinterlässt das Spuren – bei den Kindern und den Eltern. Ein Kind ist mehr als eine Note im Fach Mathematik.
Und eine Schule sollte mehr sein als ein Sortiersystem.

Warum Kinder mit Dyskalkulie oft emotional leiden

Trotz der Häufigkeit von Lernstörungen fühlen sich betroffene Kinder oft missverstanden, ausgegrenzt oder sogar beschämt – gerade, wenn ihre Schwierigkeiten nicht gut erklärt werden.

Studien zeigen: Kinder mit Dyskalkulie haben häufiger Schulangst und ein geringeres schulisches Selbstkonzept (Fischbach et al., 2010; Kohn et al., 2013). Manche berichten sogar von Mobbingerfahrungen und Rückzug. Wenn das Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit fehlt, bleibt oft nicht nur Mathe auf der Strecke – sondern auch der Mut.

Warum Aufklärung so wichtig istPsychoedukation

Wenn Kinder erfahren, was sie haben und warum sie bestimmte Dinge anders lernen, können sie besser mit ihren Herausforderungen umgehen.

Psychoedukation – also die gezielte Aufklärung über Lernstörungen – kann helfen, das Selbstbild zu stärken, Verunsicherung zu verringern und einen konstruktiveren Umgang mit der Diagnose zu fördern (Griepenburg & Schuchardt, 2019).

Auch für Mitschüler ist Aufklärung wichtig – damit sie besser verstehen und nicht vorschnell urteilen.

Was du im Gespräch mit Schulen wissen solltest

Ich erlebe immer wieder, wie unterschiedlich Schulen reagieren. Manche lehnen ab, andere bleiben vage oder zeigen wenig Bereitschaft, sich auf ein Kind mit Lernschwierigkeiten einzulassen.
Aber es gibt auch die anderen. Die, die sagen: „Wir schauen gemeinsam, was möglich ist.“

Diese Fragen helfen dir, im Gespräch gut vorbereitet zu sein:

  • Wie steht die Schule zu Dyskalkulie oder LRS?
  • Gibt es Förderangebote oder Unterstützungsstrukturen?
  • Wie wird der Nachteilsausgleich konkret umgesetzt?
  • Wird dein Kind als ganzer Mensch gesehen – nicht nur durch die Mathe-Brille?

Konkrete Tipps für Gespräche mit Schulen findest du in meinem Artikel Wahl der weiterführenden Schule mit LRS und Rechenschwäche:

Es gibt Hoffnung – und gute Beispiele

Es gibt Schulen, die anders denken.
Die fragen: „Was braucht dieses Kind?“
Die nicht in Noten, sondern in Menschen denken.

Eltern erzählen mir:
„Wir dachten, wir hätten keine Chance auf eine Schule, die uns versteht. Aber dann kam diese eine Schule. Und zum ersten Mal hatte unser Kind das Gefühl: Ich darf hier sein.“ Oder

Und manchmal passiert sogar das Unerwartete:
Ein Schüler mit einer 5 in Mathe auf dem Zeugnis (mit 4,6 leider knapp an der 4 vorbei) bekommt zum Abschluss ein Geschenk vom Mathelehrer. Nicht für die Note, sondern für den Einsatz, das Durchhaltevermögen und dafür, dass er bis zum Schluss „gekämpft“ hat und alles gegeben hat.

Mut & Lerntherapeuten & neue Wege

Lerntherapeuten, die heute schon in Schulen arbeiten, sind ein unverzichtbarer Schlüssel, um Kinder mit Dyskalkulie effektiv und nachhaltig zu unterstützen. Doch häufig fehlt es ihnen an langfristigen Rahmenbedingungen und verlässlicher finanzieller wie institutioneller Absicherung. Hier braucht es Mut – Mut von Politik und Gesellschaft, diesen Weg konsequent zu gehen.

Es erfordert Mut, alte Strukturen zu hinterfragen und hinzusehen, welches Potenzial in jedem einzelnen Schüler steckt, unabhängig von Diagnosen oder Noten.

Damit dieser Mut nicht an mangelnden Ressourcen scheitert, braucht es:

  • Klare, dauerhafte Stellen für Lerntherapeuten an Schulen, die in den Schulalltag eingebunden sind und mit Lehrkräften zusammenarbeiten
  • Mehr finanzielle und personelle Ressourcen, damit diese Unterstützungsangebote ausgebaut und für alle zugänglich werden
  • Eine Kultur des Vertrauens, die Lerntherapeuten als gleichwertige Partner im schulischen Netzwerk anerkennt und wertschätzt

Nur so kann sich der oft schwere Rucksack, den Kinder mit Rechenschwäche tragen, merklich leichter anfühlen – und zwar dauerhaft. Mut und Ressourcen gemeinsam eröffnen eine Schulwirklichkeit, in der das Potenzial eines jeden Kindes sichtbar wird und wachsen kann.

Wenn wir diesen Schritt wagen, schaffen wir nicht nur bessere Chancen für die Schüler mit Dyskalkulie und auch Legasthenie/LRS, sondern bauen eine Schule, die wirklich für alle da ist.

Das fehlende Puzzle-Teil: Lösungen gibt es. Um sie umzusetzen, braucht es mehr Mut neue Wege zu gehen.

Kinder verdienen es, gesehen zu werden

Sie sind mehr als eine Rechenschwäche.
Mehr als ein Notenschnitt.
Sie sind Menschen mit Träumen, Stärken, Gefühlen – und brauchen Schulen, die das erkennen und begleiten.

Dankbarkeit und ein Blick nach vorn

Ich bedanke mich mich ganz herzlich für die letzten 6 Jahre am Schulverbund am Deutenberg in Schwenningen. 6 Jahre, in denen meine Tochter unterstützt wurde und ihre Dyskalkulie gesehen wurde. In denen individuell geschaut wurde, was ihr hilft. Danke an alle Lehrkräfte, die uns auf diesem Weg bis zum Realschulabschluss begleitet haben.

Unser Ziel ist es, bis 2033 ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Lerntherapie eine individuelle, nachhaltige und stärkende Begleitung bietet – für alle, die beim Lernen Unterstützung brauchen.“ Lerntherapeuten-Netzwerk

Werde Teil unseres Netzwerks – gemeinsam sorgen wir dafür, dass jedes Kind die Unterstützung bekommt, die es verdient.

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