Machen Diktate heutzutage überhaupt noch Sinn? Oder sollte anstelle eines Diktates lieber eine andere Form der Leistungsfeststellung gewählt werden? Wie fühlen sich Schüler, wenn immer und immer wieder unter jedem Diktat steht: Note 6. Dabei  haben sie intensiv geübt jeden Tag die Lernwörter gepaukt. Die Note 6 spiegelt nur eines wider: die Defizite des Schülers.

Note 6, trotz intensiven Übens

Dieses Beispiel ist aus einer weiterführenden Schule. Ergänzend zur Note 6 kam direkt im Anschluss noch ein wertschätzendes Feedback mit einem Grünstift geschrieben: „Du hast schon 48 Wörter richtig geschrieben“. Dies sollte den Schüler positiv bestärken, kam aber beim Schüler leider nicht an. Die Note 6 hat für großen Frust gesorgt.

Was sind Diktate und was spricht für Diktate?

Ein Diktat ist eine Form der Leistungsüberprüfung, in welcher Orthographiekenntnisse überprüft werden sollen. Sie bestehen „aus einer gezielte Ansammlung orthographischer Stolpersteine“ (Günther Thomé, ABC und andere Irrtümer über Orthographie, Rechtschreiben und LRS/Legasthenie, 2023).

Diktate sind beliebt, weil…..

  • sie eine lange Tradition haben
  • eine einfache Form der Leistungsüberprüfung darstellen
  • man von einer Transferleistung auf das eigenständige Verfassen von Texten ausgeht
  • alternative Übungsformen oder Möglichkeiten zur Leistungsbeurteilung weniger bekannt sind

Diktate stammen noch aus Zeiten, in denen man vermutete, dass die Rechtschreibung hauptsächlich durch das Memorieren von Wortbildern erlernt würde.

Diktate sind eine sehr ungünstige Leistungsfeststellung

In vielen Bundesländern sind Diktate nicht mehr vorgeschrieben, oft werden sie aber trotzdem geschrieben.

Bitte KEINE Diktate – schon gar nicht bei LRS aber auch für alle anderen Kinder nicht.

Christiane Kitching, integrative Lerntherapeutin

Sie hat in den letzten 20 Jahren in ihrer Tätigkeit als Lehrkraft, aber auch in ihrer Tätigkeit als Lerntherapeutin noch keine Schule erlebt, in der Diktate geschrieben wurden. An den Schulen in unserer Region in Baden-Württemberg ist das leider noch nicht angekommen, aber natürlich ist dies auch immer von Schule zu Schule ganz unterschiedlich geregelt.

„Diktate sind eine typische verschulte Schreibsituation, die in der Lebenswirklichkeit der Kind und auch der Erwachsenen kaum Bedeutung hat. Es isoliert eine Teilfähigkeit und wird dadurch der Komplexität der Anforderung an eine reale Schreibsituation nicht gerecht.“ Seminar Engelskirchen, NRW, 2003

Diktate können Schüler stark demotivieren, dies kann zu einer negativen Einstellung zum Schreiben führen.

Schüler, die immer wieder tagelang üben und dann erfahren, dass sich das alles überhaupt nicht gelohnt hat, können Selbstzweifel und Ängste entwickeln, ihre Lernmotivation sinkt, sie fühlen sich als Außenseiter und vermeiden weitere Schreibanforderungen. Es entsteht ein Negativ-Kreislauf, der dann nur schwer wieder durchbrochen werden kann, denn Schreiben lernt man nur durchs regelmäßige Üben und durch verschiedenen Schreibanlässe.

Heutzutage wird jedoch immer mehr erkannt, dass die Fähigkeit der Schüler, eigene Texte zu verfassen und Korrekturstrategien gezielt anzuwenden, ein wesentlicher Indikator für ihre Rechtschreibkompetenz ist.

Alternative Formen der Leistungsmessung – davon profitieren alle

Wenn Diktate keine gute Lösung sind, welche Alternativen gibt es? Sind ggf. Laufdiktate, Dosendiktate, Partnerdiktate oder andere kreative Formen sinnvoll?

Sie sind in der Regel eine gute Übungsmöglichkeit für den Unterricht, aber keine gute Leistungsfeststellung, um die Rechtschreibkompetenzen von Schülern zu überprüfen.

Als Alternativen empfehlen sich folgende Möglichkeiten. Diese bieten der Lehrkraft viel effektivere Möglichkeiten bieten, den Lernstand der Schüler zu evaluieren und die Schüler zum Schreiben zu motivieren.

  • Verfassen eigener Texte: Beim Schreiben eigener Texte sind Schüler in der Regel motivierter, können ihre Interessen einbringen und damit auch ihre Schreibfähigkeiten verbessern und ihre Rechtschreibkompetenzen erweitern.
  • Teilnahme an Schreibkonferenzen: Schüler erhalten die Möglichkeit, an Schreibkonferenzen teilzunehmen, um individuelles Feedback zu erhalten und ihre schriftlichen Fähigkeiten zu verbessern.
  • Eigenständiges Üben mit erlernten Strategien: Schüler können eigenständig nach erworbenen Schreibstrategien üben, um ihre Rechtschreibkompetenz zu stärken.
  • Analyse orthografischer Besonderheiten: Die Untersuchung von speziellen Rechtschreibregeln ermöglicht den Schülern ein tieferes Verständnis und eine bessere Anwendung dieser Regeln.
  • Selbstkontrolle und Partnerarbeit: Durch Selbstkontrollen und die Zusammenarbeit mit Partnern können die Schüler ihre eigenen Rechtschreibfähigkeiten überprüfen und voneinander lernen.

Alternative Methoden wie das Verfassen eigener Texte, Schreibkonferenzen und Partnerarbeit bieten damit viel effektivere Wege zur Verbesserung und Bewertung von Rechtschreibfähigkeiten als herkömmliche Diktate.

Fehler als Chance – positive Schreibanlässe 

Fehler sind Helfer, dieser Satz ist an vielen Schulen schon angekommen, aber wenn es um Diktate geht, wird jeder Fehler als Defizit oder sogar „Defekt“ gewertet und das in den Fokus gestellt, was das Kind nicht kann. Dabei ist der Rechtschreiberwerb ein fließender Prozess, der Zeit braucht und bei jedem Kind individuell abläuft.

Viel wichtiger als das Aufzeigen von „Das kannst du nicht“ ist es, dass Schüler eine positive Haltung zum Schreiben gewinnen und Schreibsituationen und -anlässe als sinnvoll und praxisbezogen erleben.

Diktate behindern diesen Prozess. Auch im Buch „Der tanzende Direktor“ werden klassische Diktate als hinderlich für eine positive Schreibentwicklung gesehen.

„Liebe geht durch den Magen und Schreiben durchs Herz“ (Der tanzende Direktor, S.31). 

Ich wünsche mir, dass wir uns von den starren Formen der Bewertung der Rechtschreibung endlich lösen und neue flexible Formen der Leistungsfeststellung nutzen, getreu dem Aufruf des  Arbeitskreises Grundschule des Grundschulverbandes: „Fördert das Rechtschreiblernen- schafft die Klassendiktate ab“

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Quellen:

 

4 Comments

  • In den Richtlinien von 2008! steht unter Punkt 4 „Leistung fördern und bewerten“ zur Beurteilung der Rechtschreibleistungen:
    – Grundlage der Leistungsbewertung sind alle von der Schülerin oder dem Schüler erbrachten Leistungen. (S. 22 unten)
    – Fachbezogene Kriterien zum richtig schreiben: die Feststellung, an welcher Stelle auf dem Weg zur normgerechten Schreibung die Schülerin/ der Schüler steht. Grundlage sind die eigenen Texte der Schülerinnen und Schüler. (S. 23)
    Damit ist die Sache für NRW klar: Nicht Diktate sind die Bewertungsgrundlagen, sondern…siehe oben.

  • Heute habe ich etwas interessantes gehört. Mir war bisher nicht bewusst, dass es unsere normierte Rechtschreibung erst seit dem 19. Jahrhundert gibt und dass vorher jeder so schrieb, wie er es für richtig hielt. Auch Goethe …
    Sicherlich kein Modell für heute, aber beeindruckt war ich doch.
    Liebe Grüße
    Astrid

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