Wie kann ein Nachteilsausgleich in der Schule individuell und wirksam gestaltet werden? Meine besten Tipps und 8 Antworten auf die häufigsten Fragen zum Thema Nachteilsausgleich bekommst du hier. Dabei beziehen sich einige Aspekte auf das Bundesland Baden-Württemberg. Viele Aspekte sind aber auch bundeslandübergreifend von Bedeutung.

Was ist überhaupt ein Nachteilsausgleich?

Schüler mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen und/oder einem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung sollen durch gezielte Hilfestellungen (einem Nachteilsausgleich) in die Lage versetzt werden, den schulischen Anforderungen nachzukommen. Die Art des Nachteilsausgleichs ist dabei immer ganz individuell.

Die Verwaltungsvorschrift „Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf und Behinderungen“ (2008) aus Baden-Württemberg definiert den Nachteilsausgleich folgendermaßen:
„Der Nachteilsausgleich für Schüler mit besonderem Förderbedarf oder für behinderte Schüler lässt daher das Anforderungsprofil unberührt und bezieht sich auf Hilfen, mit denen die Schüler in die Lage versetzt werden, diesem zu entsprechen. Die Art und Weise solcher Hilfen hängt von den Umständen des Einzelfalles ab“

Ein Nachteilsausgleich kann in verschiedenen Bereichen umgesetzt werden

  • schulorganisatorische Maßnahmen
  • technische Hilfen
  • methodisch-didaktische Hilfen
  • bei Leistungserhebungen

Mehr als nur schulrechtliche Vorgaben

Einen individuellen Nachteilsausgleich in der Schule festzulegen ist weit mehr ist als nur die schulrechtlichen Bestimmungen zu kennen.

  • Du lernst, wie Schüler mit einer LRS/Rechenschwäche denken
  • Es werden individuelle Lösungen entwickelt
  • Durch einen Nachteilsausgleich werden deine Schüler emotional gestärkt
  • Ein Austausch mit anderen Beteiligten ist hilfreich: Lehrer sind Experten für innerschulisches Lernen, Lerntherapeuten kennen die Schüler im Einzelsetting

Leider wird nur wenig Hintergrundwissen zum Thema Nachteilsausgleich in der Lehrerausbildung vermittelt.  Daher lasse ich hier eine Lehrkraft sprechen, die stellvertretend für viele weitere Kommentare und Meinungen steht.

Meinung einer Grundschullehrerin während einer Fortbildung im Januar 2022

Es wird ganz schnell klar, dass das Thema Nachteilsausgleich (neben dem Thema Legasthenie und Dyskalkulie) damals wie heute kaum Einzug in die Lehrerausbildung gehalten hat. Die Nachfrage nach vertiefendem Wissen/ einer Fortbildung ist aber sehr hoch.

8 Tipps für einen individuellen Nachteilsausgleich

Nachteilsausgleich muss kein kompliziertes Thema sein. Mit folgenden 8 Tipps und konkreten Hilfestellungen kann ein Nachteilsausgleich ganz leicht umgesetzt werden

Mehr als schulrechtliche Regelungen – Nachteilsausgleich

#1 Hintergrundwissen für dein Bundesland

Aber wo finde ich jetzt überhaupt die Regelungen, die für mein Bundesland gelten?

Übergreifend für alle Bundesländer gibt es Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK), die jedoch sehr allgemein gehalten sind. Der KMK-Beschluss von 2007 sieht die Schulen in der Pflicht, „Lernschwierigkeiten frühzeitig zu erkennen, um die Förderung möglichst frühzeitig zu beginnen und einen individuellen Förderplan entwickeln zu können.“ Aus diesen allgemeinen KMK-Empfehlungen sind innerhalb vieler Bundesländer spezifische eigene schulrechtliche Regelungen entstanden, in denen Unterstützungsmöglichkeiten für Schüler beschrieben sind. Einige Bundesländer haben sogenannte Verwaltungsvorschriften (wie z.B. Baden-Württemberg), bei anderen sind die Regelungen im Schulgesetz (z. B. GsVO für Berlin) verankert.

Hier bei Legakids gibt es einen Überblick über die Regelungen in den unterschiedlichen Bundesländern.

#2 Hole dir Hilfe – Anlaufstellen/Fortbildungen 

Du musst mit deinen Fragen nicht alleine sein. Im Austausch mit anderen kannst du deine Fragen loswerden.  Auch Fortbildungen sind hilfreich, einige finden auch online statt.

Innerschulische Anlaufstellen

  • LRS-Beauftragte
  • Beratungslehrer
  • ASKO (Arbeitsstelle Kooperation)
  • schulpsychologische Beratungsstelle

Außerschulische Anlaufstellen

#3 Sprich Lernschwierigkeiten offen in der Klasse an

Sprich am Anfang vom Schuljahr an, dass alle Schüler Stärken, aber auch Schwächen haben, der eine ist in Deutsch gut, der andere in Mathe. Kommuniziere das Thema Nachteilsausgleich am Anfang vom Schuljahr, auch bei einem Elternabend. Schaffe ein offenes Lernklima, so muss kein Schüler das Gefühl haben, ein Nachteilsausgleich sei für einen anderen Schüler ein Vorteil oder es ist unangenehm Hilfsmaterial zu verwenden. Im Gegenteil, der Nachteilsausgleich ist dafür da, um einen ganz persönlichen Nachteil, den ein Schüler beim Erwerb des Lesens, Schreibens und Rechnens hat, auszugleichen.

#4 Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule

In der Verwaltungsvorschrift (BW) ist Folgendes geregelt:

Leider wird dieses Beiblatt noch viel zu selten an Grundschulen eingesetzt. Dabei ist das eine gute Möglichkeit, die weiterführende Schule zu informieren und somit an den Fördermaßnahmen der Grundschule anzuknüpfen (Eltern können dieses Beiblatt freiwillig der Schulanmeldung vorlegen).

#5 Ein Nachteilsausgleich in der Schule bedeutet doch immer: Der Schüler bekommt mehr Zeit, oder?

Ein Nachteilsausgleich sollte immer individuell und wirksam sein. Was einem Schüler hilft, mag für den anderen kontraproduktiv sein. Mehr Bearbeitungszeit kann einem Schüler helfen,  für einen anderen Schüler kann es völlig wirkungslos sein.

Nachteilsausgleich Mathe: Mehr Tipps zu konkreten Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs bei einer Dyskalkulie

Nachteilsausgleich Englisch:  Fremdsprachenunterricht im Fach Englisch kann ein Nachteilsausgleich

#6 Steht ein Nachteilsausgleich auf dem Zeugnis?

Nein, ein Nachteilsausgleich steht nicht im Zeugnis. Für Baden-Württemberg ist das im Abschnitt 2.3.1 „Allgemeine Grundsätze“ ist das in der Verwaltungsvorschrift festgelegt.

Ausnahme: eine zurückhaltende Gewichtung der Rechtschreibung: diese wird im Zeugnis notiert.

#7 Gilt die zurückhaltende Gewichtung auch bei einer Dyskalkulie?

Laut Verwaltungsvorschrift ist es leider nicht vorgesehen. In der Grundschule erlebe ich aber ganz individuelle Lösungen für Schüler, um bei Schüler mit großen Schwierigkeiten zu unterstützen.

In der Verwaltungsvorschrift ist eine sogenannte Härtefallklausel vorhanden, die folgendes ermöglicht: „Gerade bei schwer betroffenen Schülern besteht ein Ermessensspielraum, der zur Milderung möglicher Härten eine Abweichung vom Anforderungsprofil zulässt und damit auch eine Anpassung an die individuellen Leistungsmöglichkeiten möglich macht“. Weitere Infos auf der Seite des Landesverbands Legasthenie und Dyskalkulie. 

Ich möchte Lehrkräfte ermutigen, individuelle Lösungen zu finden. Insbesondere in der Grundschule ist sehr viel an Unterstützung möglich, um Schüler emotional zu stärken und mit den Rechenschwierigkeiten nicht alleine zu lassen. Es darf nicht vergessen werden, dass Schüler mit einer Dyskalkulie auch eine Matheangst oder ein Vermeidungsverhalten entwickeln können.

#8 Gibt es einen Anspruch auf zusätzliche Lehrkräfte im Unterricht?

Frage einer Lehrkraft während einer Online-Fortbildung

Diesen Anspruch gibt es nicht. Es ist allen, die mit Schülern arbeiten, bewusst, dass die Herausforderungen sehr vielfältig sind. Nicht immer ist es möglich, allen Schülern mit ihren sehr individuellen Lernvoraussetzungen gerecht zu werden. Wird ein Schüler inklusiv beschult, gibt es die Möglichkeit, dass Sonderpädagogen während des Unterrichts (zumindest für einige Stunden) diese Schüler unterstützen. Manchmal gibt es auch Schulbegleiter. Wenn aber ein Schüler „nur“ eine LRS oder Rechenschwäche hat, dann ist eigentlich niemand für diesen Schüler persönlich da.

Multiprofessionelle Teams an Schulen, insbesondere Lerntherapeuten, könnten hier unterstützend diese Schüler fördern und die Lehrkräfte damit entlasten. Leider ist das nur an ganz wenigen Schulen der Fall. Warum ich mich für multiprofessionelle Teams an Schulen einsetze und jede Schule einen Lerntherapeuten bräuchte, erfährst du hier.

So geht’s leichter: Nachteilsausgleich in der Schule

  • Besuche eine Fortbildung, einige sind auch online
  • Tausche dich mit anderen aus (im Kollegium, mit externen Fachkräften)
  • Nutze deinen pädagogischen Ermessensspielraum
  • Überprüfe regelmäßig, ob der gewährte Nachteilsausgleich in der Schule dem Schüler hilft (individuell und wirksam)

Meine Empfehlung für dich nach vielen Beratungen und Fortbildungen:

Sei mutig und nutze die Möglichkeiten im Rahmen deines pädagogischen Ermessens 

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Quellen und weitere Informationen

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