Wie bin ich dazu gekommen, ausgerechnet im entfernten China eine Online Fortbildung für Lehrer zu geben? Warum ist es mir persönlich wichtig, Wissen zu LRS und Rechenschwäche weiterzugeben und was hat mich regelrecht sprachlos gemacht? Du bekommst hier einen kleinen Einblick in meine ganz persönlichen Höhen und Tiefen auf dem Weg zur und während der Fortbildung. Mein Rückblick aus knapp einem Jahr Lehrerfortbildung an der British School of Beijing, Shunyi.
Was draus wird, wenn man spontan kostenlose Fortbildungen anbietet – Juli 2020
Es ist Sommer 2020 und ich habe spontan entschieden, mehrere kostenlose Online Seminare zum Thema LRS und Rechenschwäche anzubieten. Einfach so, um mehr Wissen zu LRS und Rechenschwäche in die Welt zu bringen. Geplant war auch Eltern vor Ort zu erreichen. Denn im Januar hatte ich ein erstes Treffen vor Ort imitiert, um eine Selbsthilfegruppe LRS/Rechenschwäche zu gründen (hier geht’s zum Presseartikel) und Eltern untereinander stärker zu vernetzen. Doch dann kam Corona und weitere Treffen vor Ort waren leider nicht möglich.
Passiert war aber etwas Verrücktes: Auf meine Sommerkurse meldeten sich viele Interessenten aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland an. Eine Lehrkraft war sogar aus Peking dabei. Die Eltern hier aus der Region nahmen mein Angebot nicht in Anspruch, was ich sehr schade fand. Silke, die aus Peking an den Online Terminen teilnahm, stellte sich sogar nachts den Wecker, denn mit 8 Stunden Zeitverschiebung war es bei ihr mitten in der Nacht als ich um 19 Uhr meine Veranstaltungen durchführte.
Anfrage aus Peking – Oktober 2020
Mit vielen aus den 3 Sommer Fortbildungen blieb ich in Kontakt, u.a. in meiner Facebook Gruppe und eines Tages kam die Anfrage von Silke, ob ich für ihr Kollegium eine Fortbildung durchführen könnte. Wow, ich war erstmal sprachlos, aber so eine Anfrage kommt nicht jeden Tag. Einige Dinge kursierten in meinem Kopf?
- Was kann ich überhaupt preislich verlangen – danke an Jochen Klein vom Kreisel für deine Beratung!
- auf welchem Wissenstand sind die Lehrkräfte? – im Gespräch mit Silke wusste ich dann schon mehr
- wie muss ich die Rechnung stellen? Was muss fürs außereuropäische Ausland berücksichtigt werden? – ein Anruf beim Steuerberater, es war einfacher als gedacht
- woher nehme ich die Zeit – denn wollte ich mich um mein Studium kümmern und die offenen Hausarbeiten schreiben – manchmal muss man Prioritäten legen:-)
Das Angebot erreichte Peking 2-3 Wochen später und die Rechnung übermittelt ich im November – nichts ahnend, dass wir mehrere Korrekturschleifen hatten, bis die Rechnung „perfekt“ war.
Als ich kurz nach Luft schnappen musste – März 2021
Die Überweisung hat sich länger hingezogen als gedacht. Die Rechnung musste ich mehrmals anpassen, manchmal verlor ich schon fast den Glauben, dass ich die Finanzabteilung in Peking zufrieden stellen konnte (bin ich froh, dass ich fließend englisch spreche). Die Überweisung zog sich weiterhin hin. An einem Tag im März kam auf einmal die Nachricht von Silke: Die Fortbildung war storniert, das Schuljahr sei schon so weit fortgeschritten, man hätte entschieden, die Fortbildung auf Eis legen.
Ich musste wirklich kurz nach Luft schnappen, der ganze Aufwand, die ganze Planung, das Chaos um die Rechnung alles umsonst? Seitens Finanzabteilung kam kurz darauf die Info, dass der Banktransfer schon angestoßen worden sei. Tatsächlich 24 Stunden später war das Geld auf meinem Konto und es konnte mit der Online Fortbildung losgehen. Und ich freute mich riesig drauf. Denn inzwischen hatte ich schon so oft Kontakt nach Peking, dass wir endlich starten wollten.
Es geht los – die Lehrer Fortbildung kann starten – April 2021
Der Lehrbrief war geschrieben, das erste Modul war geplant und ich war so aufgeregt und neugierig, wer mich da wohl begrüßen wird. Silke kannte ich ja schon, die anderen allerdings nicht und die 4 TA’s (Teaching Assistant) ebenfalls noch nicht.
Aber alles lief super, es war gleich eine sehr angenehme Stimmung, ein wundervoller Austausch auf Augenhöhe und konkrete Fragen zum Thema LRS/Legasthenie, die für mich für meine weitere Planung so hilfreich waren. Ich hatte mir bewusst die Vorbereitung der weiteren Module etwas offener gelassen, um individuell auf das Lehrerkollegium eingehen zu können.
Mehr als nur eine Lehrer Fortbildung – ein Einblick in ein anderes Land
Diese Fortbildung war für mich mehr als nur eine gewöhnliche Fortbildung.
- denn ich lernte ganz viel über individuelles Lernen – an dieser Schule sind die Klassen mit max. 18-19 Schülern sehr klein und in jeder Klasse gibt es neben der Klassenlehrkraft noch eine TA (Teaching Assistant)
- ich erfuhr, dass die Schule sich am Lehrplan von Bundesland Thüringen orientiert und relativ frei ist, was individuelle Förderung und Nachteilsausgleich angeht – pädagogisches Ermessen wird hier voll ausgeschöpft
- es war phantastisch, dass trotz der Entfernung sehr viel persönlicher Austausch möglich war
- spezifische Fragen können auch im Einzelsetting gut geklärt werden, meine Fortbildungen sind damit immer sehr flexibel und individuell
Nach den Legasthenie Modulen und 5-6 Online Terminen, kam die Anfrage für weitere Fortbildungen im Bereich Dyskalkulie. Die Vorbereitung war wesentlich entspannter und die Rechnung überhaupt kein Thema mehr. Auch inhaltlich wusste ich schon, wo ich die Schwerpunkte legen werde, so dass das Kollegium in Peking bestmöglich davon profitieren konnte
Ich werde von Schülern in Peking interviewt – März 2022
Die Fortbildung ging mit Pausen fast ein Jahr, das ist schon eine lange Zeit, wo einem das Lehrer Kollegium ans Herz gewachsen ist. Im März 2022 erreichte mich eine total liebe Audionachricht einer Schülerin aus Peking. Diese Nachricht war Teil des Interviews der Schüler für die „Weekly BSB“ Nachrichten. (BSB = British School of Beijing)
„The Weekly BSB“ ist eine wöchentliche Zeitung im Rahmen einer AG am Nachmittag, die von 5. und 6. Klässlern gestaltet wird. Dabei werden Ereignisse rund um die Schule präsentiert. Meine Lehrer-Fortbildung war in Ausgabe 6 auch dabei. Das fand ich so klasse.
Leider ist die Interview-Frage der Schüler per Audionachricht an mich zu spät angekommen und so konnte meine Antwort nicht mehr ins Interview aufgenommen werden. Aber hier könnt ihr sie euch anhören. Liebe Schüler, ihr wart einfach spitze, lieben Gruß an euch aus Deutschland.
Das war meine Frage: „Hello, Miss Susanne, we want to ask you a question. Were the students attentive oder naughty?“ (Hallo, Miss Susanne, we möchten dir eine Frage stellen. Waren die Studenten aufmerksam oder frech?
Ihr könnt euch vorstellen, ich musste herzlich lachen. Alleine schon deswegen, war das für mich eine gelungene Fortbildung mit einem herzlichen Austausch zum Schluss.
Interview-Frage eines Schülers aus Peking an mich
Das komplette Interview gibt es übrigens hier (auf englisch). Es wurde seitens der Schüler auch gefragt, ob ich freundlich war. Und ja, man war mit mir zufrieden:-) Schüler stellen doch immer die besten Fragen.
Wie meine Fortbildungen ablaufen
Meine Fortbildungen sind sehr individuell. Es gibt kein Standardprogramm, was bei mir immer durchgeführt wird
- Vor der Fortbildung wird überprüft, was inhaltlich wichtig ist und welche Ziele das Kollegium hat (reine Wissensvermittlung oder auch parallel die Begleitung von Schülern mit einer LRS/Rechenschwäche)
- neben den einzelnen Live-Modulen gibt es eine begleitende Möglichkeit des Austauschs (entweder über Slack oder eine andere Plattform), so dass Fragen zwischendurch jederzeit gestellt werden können
- Die Module sind am Anfang grob vorgeplant, kurzfristige Änderungen – bestimmte Themen werden intensiver behandelt – sind immer möglich
- nach Bedarf: einzelne Kollegen können 1:1 Termine buchen und ihre individuelle Situation mit mit besprechen (Schüler xy hat Schwierigkeiten in Mathe, das habe ich schon umgesetzt, hier brauche ich noch Hilfe)
Keine Fortbildung ist wie die andere, aber alle Lehrer Fortbildungen sind immer ganz individuell und bereichernd für beide Seiten.
Was ich gelernt habe und anderen empfehle
Nach einem Jahr Lehrerfortbildung ist es Zeit Revue passieren zu lassen und das sind meine wichtigsten Erkenntnisse. Einige dieser Themen diskutiere ich auch in meinen SOS Gesprächen mit angehenden Lerntherapeuten und sage immer wieder glaubt an euch, ihr schafft das. Auch ich habe immer wieder Höhen und Tiefen und vertraue aber darauf, dass zum Schluss alles ganz wunderbar wird.
Meine Learnings
- einfach mal starten – denn planen kann man nicht alles vorher
- darauf vertrauen, dass es gut wird (auch mein Jahresmotto 2022)
- berücksichtigen, dass sich die Dinge während der Fortbildung oft nochmal ganz anders entwickeln (Schwerpunkte, Themen)
- wenn das erste Modul geplant ist, läuft der Rest viel einfacher und man sammelt während der Fortbildung Erfahrung
- Chancen ergreifen, wenn sie sich ergeben – das Studium kann warten – war nicht ganz einfach, aber absolut die richtige Entscheidung
- Öffentlichkeitsarbeit betreiben – viele Lerntherapeuten leisten so wunderbare Arbeit, aber nur wenige sprechen darüber – Öffentlichkeitsarbeit ist für unser Berufsbild wichtig (und für alle Schüler, die von unserer Unterstützung profitieren)
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